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Zwischenruf – Als Mitte April bekannt wurde, dass der Eichstätter Neupriester Michael Polster in Kälberau den Primizsegen spenden würde, landeten bei mir als Dekan eineinhalb Dutzend Protestmails.

Diese erinnerten allesamt an die antijüdischen Äußerungen des Genannten während dessen Würzburger Seminarzeit. Darüber hinaus äußerten die Verfasser ähnlich wie der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, Zweifel an dessen Reue über das Geschehene. Wenige Tage vor seiner Weihe hatte Michael Polster in einem vom Bistum Eichstätt produzierten Imagefilm den Vorfall als „Bockmist" bezeichnet. Mich haben die Reaktionen per Mail aber auch über Telefon insofern überrascht, als das Verhältnis von Juden und Christen im Dekanat während der vergangenen Jahre wohl so gut wie nie thematisiert worden ist. Es zeigt sich hier, dass die vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägte wertschätzende Haltung zum Judentum und eine besondere Sensibilität für unsere „älteren Brüder und Schwestern" längst an der Basis angekommen ist. Mehrere der Zuschriften betonen, dass Jesus Jude war. Als Kirchenhistoriker möchte ich hinzufügen, dass genau diese schlichte Tatsache im Laufe der Kirchengeschichte be- und verschwiegen, verleugnet und bekämpft wurde – und mit ihr die Menschen, die sich zum Gott Israels bekannten. Im Gesprächskreis „Christen und Juden im ZdK", dem ich von 2011 bis 2016 angehörte, wurde ich als Christ immer wieder mit dem belasteten und belastenden Erbe meines Glaubens konfrontiert. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass der Antijudaismus geradezu ein Identitätsmerkmal des christlichen Glaubens war – mit allen Folgen bis hin zur Blindheit gegenüber der millionenfachen Ermordung jüdischer Menschen in der Schoa. Erst nach 1945 hat sich die Kirche mit Erschrecken, aber dennoch zögerlich der damit verbundenen Schuld gestellt. Immerhin wurden so die Voraussetzungen für den absoluten Neuansatz im Konzilsdokument Nostra Aetate geschaffen. Das heißt für ein jüdisch-christliches Gespräch auf Augenhöhe. Doch für die meisten Christen, darunter auch den Großteil der Pfarrer, Religionslehrer und -lehrerinnen in Deutschland, ist die Neubestimmung des jüdisch-christlichen Verhältnisses bis heute abstrakt, ja fremd geblieben – in Predigten und Religionsbüchern kommen Menschen jüdischen Glaubens immer noch fast ausschließlich als Zeitgenossen Jesu in den Blick, nicht aber als Teil unserer Gesellschaft. Dieser Umstand, dass das gegenwärtige Judentum weiter "vergessen" wird, ist wohl nicht nur mangelnden Begegnungsmöglichkeiten im Alltag geschuldet. Darüber hinaus schwingt manches im Verhältnis beider Religionen mit, das nur schwer erträglich ist. In einigen unserer Lieder zu Fronleichnam singen wir z.B. davon, dass das Neue das Alte ersetzt. Dabei ist es längst passé, die Anfänge des Christentums als einen bewussten Bruch mit der Überlieferung des Volkes Israel zu verstehen. Schon allein deswegen sollten wir begreifen, dass die Weggemeinschaft von Juden und Christen kein Verlust, sondern ein Gewinn ist. Diese Weggemeinschaft kann uns tiefere Horizonte im Verstehen unseres eigenen Glaubens erschließen. Mehr noch! Die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen gehört zur Identität des christlichen Glaubens und ist keine vorübergehende Modeerscheinung im Gefolge des letzten Konzils. Wache Aufmerksamkeit für jegliche Form von Antisemitismus und Judenfeindlichkeit ist gut, ein lebendiges Interesse am jüdischen Leben in unserem Land und weltweit besser!

Dekan Stefan-B. Eirich

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