header

Von Pfarradministrator - Pfarrvikar Mihai Vlad

Tacet (er/sie/es schweigt) ist eine Spielanweisung in der Musik. Vor einiger Zeit hielt ich einen Vortrag über die Stille. Damals stellte ich das Stück 4‘33‘‘ von John Cage vor, in dem während der ganzen Spieldauer von 4 Minuten und 33 Sekunden kein einziger Ton gespielt wird. Der Pianist setzt sich ans Klavier und drückt während des ganzen Stücks keine einzige Taste. Die Komposition gliedert sich in drei Sätzen ohne Noten:

I TACET

II TACET

III TACET

Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang zu schweigen ist anspruchsvoll und anstrengend. Nicht jedermanns Sache! Als BBC Radio im Jahr 2004 zum ersten Mal das Stück im Rundfunk übertragen hat, mussten Techniker die Notfallsysteme des Senders ausschalten, die bei auftretenden „Störungen“ – wie zum Beispiel die Stille – automatisch Mitteilungen an die Zuhörer senden („das Programm wird in Kürze fortgesetzt…, bleiben Sie dran…, das Programm wird in Kürze fortgesetzt…, bleiben Sie dran…, das Programm wird in Kürze fortgesetzt…“).

Während der Krise haben sich viele Priester entschieden, über Internetübertragungen weiterhin zu reden, einen Anschein von Normalität zu suggerieren, „bei den Menschen zu sein.“

Ich habe mich entschieden, in diesen Zeiten öffentlich zu schweigen. Zumindest es zu versuchen, denn immer wieder werde ich dazu genötigt, irgendetwas zu sagen. Dass das Schweigen an sich Musik ist, dass das Schweigen an sich etwas aussagt, das wird oft verdrängt.

Ich wurde gebeten, mein Schweigen zu begründen.

Meiner Meinung nach wird in der Kirche viel zu viel geredet, ob Krise oder nicht. Ich ertappte mich selber manchmal beim Reden, wenn ich lieber schweigen sollte. Für mich ist die Coronazeit Anlass für eine Reflexion, Anlass einer Wüstenzeit. Der Mensch wird nicht der Wüste ausgesetzt, damit er spricht, sondern damit er hört.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Institution Kirche in trügerischer Sicherheit gewähnt. Eine vermeintliche Sicherheit, die von Menschenhand und aus sehr vergänglichem Material gemacht wurde: Macht, Geld, Einfluss, Ausbeutung und Unterdrückung. „Bei euch muss es anders sein!“ so lautet das Jesuszitat in Matthäus 20,26.

Oft hatte ich den Eindruck, dass gar kein Wille mehr da war, oder vielleicht auch keine Hoffnung mehr, dass es bei uns anders sein kann und anders sein muss. Wir haben uns viel zu stark an den „Standards“ dieser Welt angepasst und diese auch noch mit dem schön klingenden Begriff „Qualität“ in Verbindung gebracht.

Die Krise hat unsere Standards, unser Tun und Machen, als machtlos entlarvt, weil es nicht die Standards Gottes sind. Gottes Standard sind Barmherzigkeit und Liebe. Alles, was nicht in Liebe und Barmherzigkeit begründet ist, hat keinen Bestand – weil es nicht von Gott kommt.

Meine Hoffnung und Zuversicht ist, dass die Krise unser Denken und Tun wieder auf das Wesentliche lenkt. Um dieses zu erkennen, damit jeder die Stimme Gottes hören kann, die in ihm spricht, ist Stille notwendig. Ignatius von Loyola, der große baskische Mystiker, hat erkannt, dass Gott der einzelnen Person, der Kirche insgesamt und der Gesellschaft, ständig etwas ungeahnt Neues und Einzigartiges mitzuteilen hat. Die Frage nach dem Weg eines jeden Menschen lässt sich nicht durch Katechismuswissen oder Auswendiglernen und Wiederholen beantworten, sondern der erste Schritt dafür ist die Stille.

Mihai Vlad, Pfarradministrator

­