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von Pastoralreferentin Stefanie Krömker - „Begegnung“ nennt die Ostkirche das Fest, das wir am 2. Februar feiern. Seit 1960 heißt es „Darstellung des Herrn“, zuvor „Maria Lichtmess“. Es geht immer um das Treffen der beiden alten Menschen Simeon und Hanna mit Jesus, der am 40. Tag nach seiner Geburt von seinen Eltern in den Tempel gebracht wird.

Eigentlich liebe ich diese Bezeichnung „Begegnung“ und finde sie sehr treffend. Doch in diesem Jahr kommt mir der Gedanke an dieses Fest fast zynisch vor. Wie viele sind einander in den vergangenen Monaten nicht begegnet? Ich denke an die vielen, die sich in den Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht von ihren sterbenden Angehörigen verabschieden konnten. An die Sterbenden, die alleine waren, manchmal zu betäubt, oft verwirrt und verängstigt. An die Angehörigen, die machtlos nicht nur Gesetzen, sondern darüber hinaus auch Regelungen von Einrichtungen ausgesetzt waren, die die gesetzlichen Vorschriften überstiegen. Und an Pflegende in Altenheimen, für die der Tod anvertrauter Menschen nichts Fremdes ist, aber die plötzlich mit Sterben in einem Ausmaß und einer Einsamkeit konfrontiert sind, die sie nicht für möglich gehalten hatten.

Und wenn Sie jetzt befürchten, dass ich noch andere aufzähle, die unter der Pandemie leiden: Das tu ich nicht. Heute geht es mir nur um die, die einsam starben und die, die um sie trauern. Denn da ist etwas Unwiederbringliches geschehen, mit dem sie (und wir) leben müssen.

Ja, auch in normalen Zeiten sterben Menschen alleine. Aber sie haben meist zuvor noch die Nähe anderer gespürt. Es ist auch die große Zahl, die traurig macht.

Niemand soll mir erzählen, Deutschland bekäme das ja mit der Pandemie ganz toll hin. Vielleicht wäre es nicht besser gegangen. Aber ich möchte mir nicht alles schön färben und die Trauer über die fehlenden Begegnungen angesichts des Sterbens klein reden.

Ich will sie meinem Gott klagen. Da geht es nicht um theoretische Überlegungen zur Theodizee (= zur Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides - m.E. eine ziemlich überschätzte und eigentlich uninteressante Frage). Es geht um Ehrlichkeit in der Beziehung. Beten wir Verse des 22. Psalm. Wenn nicht für uns, dann für die Verzweifelten und Trauernden:

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,

            bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?

Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort;

            und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.

Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels.

Dir haben unsere Väter vertraut,

            sie haben vertraut und du hast sie gerettet.

Zu dir riefen sie und wurden befreit,

            dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,

            der Leute Spott, vom Volk verachtet.

Alle, die mich sehen, verlachen mich,

            verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:

Wälze die Last auf den HERRN! Er soll ihn befreien,

            er reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!

Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog,

            der mich anvertraut der Brust meiner Mutter.

Von Geburt an bin ich geworfen auf dich,

            vom Mutterleib an bist du mein Gott.

Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe und kein Helfer ist da!

Es ist ein großer Unterschied zwischen Klage und Jammern. Jammern bleibt in der Situation stehen. Jammern beschreibt, aber erwartet nichts, außer vielleicht Mitgefühl. Klage erwartet Wandel. Klage erwartet Wandlung der Situation. Wer klagt, hofft. Wir klagen vor Gott. Wir hoffen auf ihn. Was geschehen ist, ist geschehen. Er soll uns zeigen, wie wir damit fertig werden sollen.

Dass er das kann, trauen wir ihm zu. Denn sein Sohn Jesus Christus hat unser Leben geteilt – im Guten wie im Schmerz, auch er hat geklagt. Er ist gestorben und nicht im Tod geblieben - und so zum Grund unserer Hoffnung geworden. Einen anderen ausreichenden (!) Grund für Hoffnung finde ich nicht. Wenn wir klagen, hoffen wir, dass Gott uns wandelt.

Ich denke, in ihrem langen Leben haben Simeon und Hanna auch geklagt. Sie werden auch Bitteres erlebt haben und das ihrem Gott geklagt haben. So haben sie an Gott festgehalten. Ob sie gespürt haben, dass er sie hält? Sie waren ihr ganzes Leben lang bis ins hohe Alter hoffende Menschen. Sie waren offen. Offen für das, was kommt. Offen für Gott. Menschen des Gebetes, die in der Gegenwart Gottes leben. Nicht verbittert. Nicht nur offen für Gott, sondern offen für die Menschen, auf die sie treffen. Und so kommt es zu dieser wunderbaren Begegnung:

Und siehe, in Jerusalem lebte ein Mann namens Simeon. Dieser Mann war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe. Er wurde vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um mit ihm zu tun, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten:

Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel. Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. … Damals lebte auch Hanna, eine Prophetin, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt; nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. Zu derselben Stunde trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Das Gebet zur Segnung der Kerzen am 2. Februar beginnt:

„Gott, du Quell und Ursprung allen Lichtes, du hast am heutigen Tag dem greisen Simeon Christus geoffenbart als Licht zur Erleuchtung der Heiden.“*

Dass Christus auch unser Herz erleuchtet, wenn wir ehrlich klagen, darum können wir heute am Fest bitten. Das geht manchmal nicht ohne den Weg der Klage. Was auf diesem Weg passiert, wissen wir nicht. Aber ohne die Klage ist unser Glaube Schönfärberei. Gott hält unsere Klage schon aus. Und wandelt. Eines Tages.

* Aufmerksamen Leser*innen wird auffallen, dass - anders als im Bibeltext - Hanna da nicht gebraucht wird.

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